"Alle Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen."
Stern

Bahá'í  Österreich

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Ethik in Zeiten globaler Herausforderungen
von:
Prof. Dr. Friedo Zölzer

Prof. Dr. Friedo Zölzer, Umweltwissenschaftler, Südböhmische Universität in Budweis, Tschechische Republik

Waren wir nicht schon einmal weiter? Hatten wir nicht die Spaltung der Welt in Ost und West überwunden? War nicht die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln unvorstellbar geworden? Und hatten wir nicht gelernt, dass unsere größten Herausforderungen ganz andere sind, nämlich Fundamentalismus und Terrorismus, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, und vor allem die Klimakrise – Herausforderungen globaler Natur eben?

Mit den aktuellen Ereignissen ist verständlicherweise so Manches ein wenig in den Hintergrund unseres Bewusstseins gerückt. Wir scheinen sogar vergessen zu haben, dass die vergangenen Jahrzehnte keineswegs frei waren von nationalen und regionalen Konflikten, man denke an die Jugoslawien-Kriege der 90er Jahre oder den Syrien-Krieg des letzten Jahrzehnts. Offensichtlich neigen wir dazu, vergangene Ereignisse zu verdrängen, wenn die gegenwärtigen nur dramatisch genug sind. Womit ich die schrecklichen Bilder aus der Ukraine keineswegs relativieren möchte.

Es geht mir nur darum, dass die Sorge um die Not der vom Krieg betroffenen Menschen – und auch die Sorge um unsere eigene Sicherheit – uns nicht dazu verleiten sollten, alle anderen Probleme der Menschheit hintan zu stellen. Und auch nicht dazu, ihre Lösung für noch illusorischer zu halten als einen Friedensschluss. Trotz vielerlei Rückschritte ist die Entwicklung eines globalen Bewusstseins weiterhin möglich und nötig. Sie muss auch keine auf die ferne Zukunft gerichtete Hoffnung bleiben, sondern kann ganz praktische Formen im Hier und Jetzt annehmen. Wir alle können dazu beitragen, positive Trends zu verstärken und in kleinen Schritten Veränderungen herbeizuführen.

Ein paar Beispiele:

Die Vereinten Nationen haben einen Katalog von „17 Zielen für nachhaltige Entwicklung“ formuliert, die bis 2030 vor allem politischen Entscheidungsträgern Orientierung geben sollen. Sie lassen sich aber ohne weiteres auch als generelles Rahmenprogramm für alle diejenigen verstehen, die in Organisationen, Verwaltungen, Berufsverbänden und Unternehmen Entscheidungen zu treffen haben. Die Ziele betreffen zunächst ökonomische, soziale und ökologische Aspekte, wie Klimaschutz, Gesundheitsförderung, Armutsbekämpfung, Reduktion von Ungleichheiten, Erziehung. Diese werden oft in materiellen Maßstäben gemessen, was natürlich an sich nichts Verwerfliches ist, aber doch allein für die angedachte „Transformation unserer Welt“ nicht ausreichen dürfte. Sie werden daher komplementiert durch ethische Grundsätze wie Klimagerechtigkeit, Achtung der Umwelt, Rücksicht auf künftige Generationen, Schutz besonders vulnerabler Gruppen etc. Wer immer daran interessiert ist, materielle und geistige Entwicklung zusammen zu denken und zu fördern, kann sich hier inspirieren lassen.
(https://17ziele.de/info/was-sind-die-17-ziele.html)

Ein Bewusstsein dafür, dass ethische Grundsätze ebenso gebraucht werden wie wissenschaftliche Erkenntnisse und technisches Know-how, entwickelt sich auch in anderen Bereichen. So hat vor ein paar Jahren die „Internationale Strahlenschutzkommission“ erstmals ein Dokument veröffentlicht, in dem die ethische Basis ihrer Empfehlungen genauer betrachtet wird. Man hatte eingesehen, dass viele Entscheidungen in diesem Bereich nicht allein auf Fachwissen beruhen, sondern darüber hinaus moralische Leitlinien erfordern. Dabei musste man gar nicht das Rad neu erfinden: es konnte gezeigt werden, dass gewisse Werte schon immer implizit in den Empfehlungen der Kommission vorhanden waren und man diese nur sichtbar machen musste. Dazu gehören Fürsorge und Schadensvermeidung, Vorsorge, Gerechtigkeit und Menschenwürde. Besonders wichtig war der Kommission als einem internationalen Gremium der Nachweis, dass diese Werte weltweit Anerkennung finden, d.h. dass sie kulturübergreifend gültig sind und nicht nur in westlichen Gesellschaften eine Rolle spielen. (https://www.icrp.org/publication.asp?id=ICRP%20Publication%20138)

Die UNESCO hat 2017 eine „Erklärung über ethische Prinzipien des Klimawandels“ verabschiedet (https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000260129). Hier finden sich ähnliche Prinzipien wie im Strahlenschutz: Schadensvermeidung, Vorsorge, Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung, Solidarität, und das Treffen von Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis. Bereits 10 Jahre zuvor hatte die Internationale Bahá’í-Gemeinde im Rahmen einer Sitzung der „Kommission der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung“ einen Runden Tisch zum Thema „Die ethische Dimension des Klimawandels“ organisiert. Dabei ging es unter anderem um die Motivation ethischen Verhaltens, bei der die religiöse Überzeugung eine wesentliche Rolle spielen kann (https://news.bahai.org/story/530/). Auch im Vorfeld der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris äußerten sich Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften und interreligiöser Organisationen wie dem Parlament der Weltreligionen (https://parliamentofreligions.org/civicrm/petition/sign?sid=4&reset=1) und betonten die ethischen Implikationen des Klimawandels.

Das Universale Haus der Gerechtigkeit, das oberste Gremium der Bahá’í-Weltgemeinde, schrieb 1985 in einer Botschaft „an die Völker der Welt“:
„Es gibt geistige Prinzipien – oder, wie manche sie nennen, menschliche Werte –, mit denen sich für jedes gesellschaftliche Problem Lösungen finden lassen. Jede Gruppe mit guten Absichten kann sich im allgemeinen praktische Lösungen für ihre Probleme ausdenken, aber gute Absichten und praktisches Können allein reichen normalerweise nicht aus. Geistige Prinzipien haben den wesentlichen Vorzug, dass sie nicht nur eine Sichtweise eröffnen, die mit dem Wesen des Menschen in Einklang steht, sondern auch eine Haltung vermitteln, eine treibende Kraft, ein Wollen, ein Sehnen, die es erleichtern, praktische Maßnahmen zu finden und in die Wege zu leiten. Staatslenker und alle mit Amtsgewalt Ausgestatteten wären gut beraten, wenn sie in ihren Bemühungen um die Lösung der Probleme die einschlägigen Prinzipien festzustellen suchten und sich dann von diesen leiten ließen.“

Die gerade genannten Beispiele zeigen, wie das für aktuelle globale Herausforderungen aussehen kann. Die Suche, Identifikation und Diskussion solcher geistigen Prinzipien sind etwas, das wir alle vorantreiben können und sollten, wo auch immer wir die Möglichkeit haben: in unserem beruflichen Umfeld, bei privaten Kontakten, im Rahmen jeglichen gesellschaftlichen Engagements. Und sie wird um so glaubwürdiger sein, je eher wir bereit sind, unser Leben praktisch zu überdenken und notfalls umzugestalten. Auch hier hat das Universale Haus der Gerechtigkeit Leitlinien vorgegeben, unter anderem in einem Brief zu Fragen des Wirtschaftslebens vom 1. März 2017: „Jede Entscheidung, die ein Bahá’í trifft – als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, als Produzent oder Verbraucher, Kreditnehmer oder Kreditgeber, Wohltäter oder Begünstigter – hinterlässt eine Spur, und die moralische Pflicht, ein kohärentes Leben zu führen, verlangt, dass unsere wirtschaftlichen Entscheidungen hehren Idealen entsprechen, dass die Reinheit unserer Ziele in Einklang steht mit der Reinheit unseres Handelns, um diese Ziele zu erreichen.“

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